Als Nazi-Deutschland den olympischen Fackellauf wiederbelebte (2024)

Sommerspiele in Berlin 1936

Als Nazi-Deutschland den olympischen Fackellauf wiederbelebte

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Entzündung des olympischen Feuers bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin.

Quelle: picture-alliance / akg-images

Das olympische Feuer brannte 1928 erstmals in Amsterdam– doch den Fackellauf vom griechischen Olympia bis zum Austragungsort gab es erstmals bei den Berliner Nazi-Spielen 1936. Und es waren ausgerechnet ein „politisch unzuverlässiger“ Deutscher und zwei jüdische Sport­funktionäre, die Hitlers Propaganda­show mit diesem antiken Ritual bereicherten.

Vor antiker Kulisse wurde am Dienstag im griechischen Olympia auf der Halbinsel Peloponnes das olympische Feuer entzündet – Auftakt für einen Fackellauf, der mit der Entzündung des olympischen Feuers am 26. Juli 2024 anlässlich der Sommerspiele von Paris seinen Höhepunkt haben wird.

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Was kaum bekannt ist: Der Idee zu diesem Ritual wurde erst im Mai 1934, also vor 90 Jahren, vom Internationalen Olympische Komitee gebilligt. Initiatoren waren vor allem drei Deutsche, die mit Blick auf die Sommerspiele 1936 dem antiken Vorbild des sportlichen Großereignisses besonders nahe kommen wollten. Dass daraus später der Tiefpunkt der olympischen Geschichte werden würde, ein unsägliches Propaganda­fest für eine menschenverachtende Diktatur – dafür konnten Alfred Schiff, Theodor Lewald und Carl Diem nur bedingt etwas. Alle drei waren keine National­sozialisten, Schiff und Lewald hatten jüdische Wurzeln und wurden von den Nazis aus allen Ämtern gedrängt, Diem war mit einer Jüdin verheiratet. Doch schön der Reihe nach.

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Bei den Olympischen Spielen 1928 brannte im Stadion von Amsterdam erstmals das olympische Feuer. Besonders beeindruckt davon war der 65-jährige deutsche Sport­funktionär und Historiker Alfred Schiff, der einst als Archäologe selbst an Grabungen an antiken Stätten teilgenommen hatte. Seine Vision war es, die Olympischen Spiele der Neuzeit detailgetreu nach ihrem historischen Vorbild zu gestalten.

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Antike Vasen- und Reliefbilder ausgewertet

Schiff wertete antike Gemmen-, Vasen- und Reliefbilder mit Darstellungen von Fackel­läufern aus und stellte einschlägige antike Quellen zusammen. Als Sport­funktionär hatte er im Deutschen Reich eine maßgebliche Rolle gespielt, zuletzt als Verwaltungs­direktor der Hochschule für Leibesübungen in Berlin, bis er nach der Machtergreifung durch die Nazis 1933 auf Grund seiner jüdischen Herkunft aus allen Ämtern entfernt wurde.

Wie viele damals glaubte der patriotisch und konservativ gesinnte Schiff, der NS-Spuk werde nur von kurzer Dauer sein. Bei diesen Hoffnungen spielten die Olympischen Spiele eine zentrale Rolle: Der sanfte Druck der Welt werde den NS-Staat liberalisieren, ein Fest der Völker lasse sich nicht unter rassistischen Maßgaben abhalten, so die Hoffnung, die er mit vielen seiner Zeitgenossen teilte. Es klingt wie eine ältere Version des Prinzips „Wandel durch Annäherung“. Durch Handel, Sport oder Personen­verkehr sollen Diktaturen liberalisiert und reformiert werden.

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Das Berliner Olympiastadion im Jahr 1936.

Quelle: picture-alliance / akg-images

Dass Deutschland überhaupt den Zuschlag als Gastgeber des Großereignisses bekam, hatte eine lange Vorgeschichte, die viel mit dem einem anderen deutschen Sport­funktionär zu tun hatte: Theodor Lewald. Bereits im Kaiserreich hatte der Spitzen­politiker und Sohn jüdischer Eltern internationale Kontakte zu den Organisatoren von Weltausstellung und Olympischen Spielen geknüpft.

Diese Kontakte halfen ihm nach der Kriegs­niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, Deutschlands internationale Isolation zu durchbrechen, so dass er 1924 als erster Deutscher in das IOC und 1927 sogar in dessen Spitzen­gremium Exekutiv­komitee gewählt wurde. Umgehend begann er dort, die Möglichkeit einer Austragung der Olympischen Spiele in Deutschland zu sondieren, um so die Wiederaufnahme des Reiches in die internationale Sport­bewegung zu ermöglichen.

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Die Nazis hatten zunächst kein Interesse

Vor allem Lewalds Arbeit war es zu verdanken, dass Berlin bereits 1931 den Zuschlag für die Ausrichtung der elften Olympischen Spiele bekam – zwei Jahre vor dem Machtantritt der Nazis. Als Adolf Hitler dann am 20. Januar 1933 Reichskanzler wurde, hatte er zunächst kein Interesse, die olympischen Pläne zu realisieren. Lewald brauchte Monate, um Hitler von der Idee eines Festes der Völker zu überzeugen. Am Ende gab wohl vor allem Propaganda­minister Joseph Goebbels den Ausschlag, der hier eine riesige Chance für ein Spektakel witterte, mit dem man die Welt blenden konnte.

Fortan bis zum Beginn der Spiele am 1. August 1936 engagierte sich Lewald dafür, einer wachsenden Boykott­bewegung in den USA entgegenzuwirken, die vor allem durch die NS-Rassegesetze 1935 Aufwind bekommen hatte. Auch das verhinderte Lewald Dank seiner internationalen Kontakte. Anfang Dezember 1935 lehnte der amerikanische Leichtathletik­verband AAU mit hauchdünner Mehrheit einen Boykott der Olympischen Sommerspiele im NS-Staat ab.

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Dass es im Vorfeld der Spiele von Berlin zu einem Staffellauf von Fackelträgern, beginnend im griechischen Olympia, kam, war dem deutschen Spitzen­funktionär Carl Diem zu verdanken, einem Freund des Sport­historikers und ehemaligen Archäologen Schiff.

Carl Diem war in den 20er-Jahren der „Erfinder“ der „Reichs­jugend­wettkämpfe“, Vorläufer der Bundesjugendspiele. Für den stramm konservativen Sportfunktionär war Sport stets ein „Wehrersatz“, der dem militärischen und politischen Wieder­aufstieg Deutschlands dienen sollte. Er betonte die Parallelen zwischen sportlichem und kriegerischem Kampf und verwies auf den Nutzen des Sports für die Heranbildung künftiger Soldaten. Doch Diem hatte sich geweigert, der NSDAP beizutreten – und er war mit einer Jüdin verheiratet, von der er sich trotz „Rassegesetzen“ nicht scheiden ließ. Für die Nazis galt er daher als „politisch unzuverlässig“. Mit Hitlers Machtantritt verlor er zunächst fast alle seine Funktionen.

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Als Diem dann aber doch zum General­sekretär des Organisations­komitees für die Spiele ernannt worden war – und maßgeblich an Planung und Durchführung beteiligt war –, schienen sich die Hoffnungen der Olympia­planer zu bestätigen: Hatte das Regime Kreide gefressen? Nahm das Fest der Völker der Diktatur ihren Schrecken?

In seiner Funktion als Chef des Organisations­komitees, ähnlich der Rolle Franz Beckenbauers im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, setzte Diem die Idee seines Freundes Schiff von einem Fackellauf von Griechenland nach Berlin durch. Ein Brauch, der noch heute gepflegt wird.

Die perfekt organisierten Spiele, erstmals professionell vom neuen Medium Fernsehen begleitet und in aufwendigen Dokumentationen für die Nachwelt festgehalten, dazu neue, moderne Sport­anlagen, begeisterte Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich der NS-Symbolik bereitwillig auslieferten – all das gaukelte der Welt ein Bild der Nazi-Diktatur vor, welches mit der Realität nichts zu tun hatte. Hitlers Unterdrückungs­staat hatte durch die Olympischen Spiele an internationalem Renommee deutlich gewonnen. Der globale politische Widerstand gegen das Reich ließ nach – und bescherte Hitlers Regime eine wichtige Pause.

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Der erste Fackelträger, der Ruder­olympiasieger von 2020, Stefanos Ntouskos, erhält die Flamme von der griechischen Schauspielerin Mary Mina, die die Hohepriesterin spielt.

Quelle: Socrates Baltagiannis/dpa /dpa

Die Sport­funktionäre, vor allem jene mit jüdischen Wurzeln, hatten ihre Schuldigkeit getan. Sie waren fortan für das NS-Regime wertlos. Ebenso wie die wenigen jüdischen Sportlerinnen und Sportler, die noch für Hitlers Großdeutsches Reich hatten laufen, fechten oder springen dürfen.

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Spätere Deportation verhindert

Theodor Lewald, der zwei Tage nach dem Erlöschen des olympischen Feuers 76 Jahre alt wurde, wurde genötigt, auf seine Funktionen im IOC zu verzichten. Dank seiner Kontakte verhinderte er eine spätere Deportation in ein Konzentrations­lager. Lewald starb zwei Jahre nach Kriegsende 86-jährig in Berlin.

Alfred Schiff, der den olympischen Fackellauf historisch erforscht und wieder­entdeckt hatte, starb 31. Januar 1939 76-jährig in Berlin. Seine Frau und seine beiden Töchter entgingen der Deportation, indem sie nach Großbritannien emigrierten.

Carl Diem, der als Leiter des Organisationskomitees den Fackellauf 1936 eingeführt hatte, erreichte im NS-Staat ein Stück weit seine Rehabilitation, indem er sich den Machthabern mit immer neuen Impulsen seiner „Wehrsport­ideen“ andiente und dafür mit verschiedenen Posten belohnt wurde. Bis zu seinem Tod 1962 leitete er die von ihm gegründete Deutsche Sporthochschule in Köln.

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